Die Kogge, das bauchige Segel- und Frachtschiff der Hanse, prägte einst das Firmenzeichen und ist ein Symbol der Entstehungszeit
Die HanseMerkur begann 1875 in Stellingen, damals noch ein Dorf vor Hamburg. Dort gründeten neun Männer den „Kranken- und Sterbe-Unterstützungsverein für Stellingen, Langenfelde, Eidelstedt und Lokstedt“ – genannt „Die Stütze der Kranken“. Ziel war, Beschäftigten der Lederfabriken und Handwerksbetriebe bei Krankheit oder Tod beizustehen.
Frühe Selbsthilfe und soziale Verantwortung
Dies war eine private Selbsthilfeeinrichtung, Jahre vor Bismarcks Sozialversicherung. Die Mitglieder halfen sich
gegenseitig, da es damals keine gesetzliche Absicherung gab. Die „Stütze“ wurde zum Versicherungsverein auf
Gegenseitigkeit – bis heute Grundlage der HanseMerkur-Gruppe.
Lokale Verwurzelung und Wachstum
Das Geschäftsgebiet nannte man auch „Schusterkasse“ und umfasste anfangs nur wenige Nachbardörfer, die heute zu
Hamburg gehören. Die Mitgliederzahl lag zunächst im zweistelligen Bereich – man kannte sich untereinander und
schuf so die Basis für spätere Expansion.
Die frühen Jahre der „Stütze“ waren geprägt von Krisen: Nach dem Gründerboom und der Wirtschaftskrise folgte 1892 in Hamburg die Cholera-Epidemie mit Tausenden Opfern. Die „Stütze“ zahlte hohe Leistungen an ihre Mitglieder und sammelte mit Kreativität und Wohltätigkeitsbällen zusätzliche Mittel. Bis 1913 wuchs die Mitgliederzahl auf 2.438 Personen. Verwaltet wurde der Verein noch privat vom Vorsitzenden und seiner Familie, unterstützt von Boten, die die Beiträge einsammelten.
Bewährungsproben durch Krieg und Inflation
Der Erste Weltkrieg und der Hungerwinter 1917 ließen die Mitgliederzahl schrumpfen. Die Spanische Grippe und die
Inflation der 1920er Jahre belasteten das Unternehmen stark, führten aber auch dazu, dass wohlhabende Menschen
vermehrt nach privatem Versicherungsschutz suchten – die „Stütze“ konnte wachsen. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929
beendete diese Phase: Viele Mitglieder konnten ihre Beiträge nicht mehr zahlen, zahlreiche Versicherer mussten
schließen.
Neuanfang und Expansion
Die „Stütze“ überlebte die Herausforderungen und ging 1931 mit der Hanseatischen Ersatzkasse (HEK) eine
Arbeitsgemeinschaft ein. Sie änderte ihren Namen in „Hanseatische Krankenversicherung von 1875 a.G. zu Hamburg“ und
dehnte ihr Geschäftsgebiet auf ganz Deutschland aus.
starben in Hamburg an der Cholera. So viele Todesopfer forderte der letzte große Cholera-Ausbruch in Deutschland
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 erlebte die private Krankenversicherung (PKV) einen Aufschwung. Die Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung sowie erleichterte Zugänge für Angestellte führten zu einem starken Mitgliederzuwachs – die Hanseatische Krankenversicherung konnte gemeinsam mit der HEK ihre Versichertenzahl von 908 (1931) auf 57.000 (1937) steigern.
zählte die Hanseatische im Jahr 1937 – ein starkes Wachstum in nur sechs Jahren
Neuausrichtung und eigene Wege
1937 untersagte das NS-Regime die gemeinsame Arbeit von gesetzlichen Ersatzkassen und privaten Versicherern. Die
Hanseatische löste sich von der HEK und zog in eine eigene Villa in der Neuen Rabenstraße, nahe der Alster – ein
Standort, der bis heute für das Unternehmen prägend blieb. Parallel entstand 1936 mit der „Hanse-Krankenschutz
Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ ein weiterer wichtiger Partner, aus dem später die HanseMerkur hervorgehen
sollte.
Marke „Merkur“ und staatlicher Eingriff
Ab 1940 wurde der Name „Merkur“ Teil der Hanseatischen Krankenversicherung, nachdem die Merkur Ersatzkasse Nürnberg
übernommen wurde. Der NS-Staat griff massiv in den Versicherungsalltag ein: Preisstopps führten zu technischen
Verlusten, und die rassistische Ideologie sorgte für die Entrechtung und Vertreibung jüdischer Mitarbeiter und
Versicherungsnehmer.
Krieg und Zerstörung
Mit Kriegsbeginn 1939 wurden viele männliche Mitarbeiter eingezogen, der Frauenanteil stieg auf zwei Drittel.
Bombenkrieg und Zerstörungen erschwerten den normalen Betrieb – 1943 brannte die HEK aus und nutzte daraufhin die
Räume der Hanseatischen. Trotz aller Herausforderungen überstand das Unternehmen diese dunkle Zeit.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Deutschland in Trümmern. Hamburg war schwer getroffen, das öffentliche Leben kam nur langsam wieder in Gang. In der britischen Besatzungszone mussten sich auch die Führungskräfte der Versicherungswirtschaft einem Entnazifizierungs-verfahren unterziehen – bei der Hanse wurde 1946 der Vorstands-vorsitzende wegen NSDAP-Mitgliedschaft abgesetzt. Erst 1950 übernahmen wieder Vorstand und Aufsichtsrat die Kontrolle.
Verluste und Neuanfang
In der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR wurden private Versicherungen verboten. Hanseatische und Hanse
verloren dadurch große Teile ihres Geschäftsgebiets und viele Mitglieder.
Währungsreform und Aufbruch in den Westen
Mit der Währungsreform 1948 und der Gründung der Bundesrepublik 1949 begann in Westdeutschland das
Wirtschaftswunder. Die Aufteilung des Versicherungsmarktes blieb bestehen, doch zunächst war das Geschäft für
private Krankenversicherer bescheiden, da die Löhne niedrig und die Versicherungspflicht hoch waren.
Wachstum und Konsolidierung
Mit dem Wirtschaftswachstum der 1950er Jahre stieg der Wohlstand, und die privaten Krankenversicherer erlebten
eine Blütephase. Die Mitgliederzahlen von Hanseatischer und Hanse verdoppelten sich zwischen 1950 und 1960. Beide
Unternehmen kooperierten weiterhin mit ihren Ersatzkassen-Partnern und spielten eine aktive Rolle in der
Konsolidierungswelle: In den nächsten 15 Jahren übernahmen sie sieben kleinere Kassen. Der Markt war zu Beginn der
1950er Jahre extrem zersplittert – 100 private Krankenversicherer, darunter viele kleine regionale Anbieter.
In den 1950er und 60er Jahren rückten Hanseatische und Hanse räumlich eng zusammen: Die Hanseatische ließ ihre alte Villa abreißen und errichtete 1957 ein modernes Bürogebäude in der Neuen Rabenstraße. 1966 bezog die Hanse direkt nebenan ihr neues Verwaltungsgebäude.
Von Nachbarn zu Partnern
Nach gescheiterten Plänen für eine größere Fusion Hamburger Krankenversicherer beschlossen Hanseatische und Hanse,
sich zusammenzuschließen. Am 22. Juni 1969 entstand daraus die „Hanse-Merkur Krankenversicherung a.G.“. Beide
Unternehmen waren ähnlich groß, hatten traditionelle Verbindungen zu den Ersatzkassen und konnten durch die
räumliche
Nähe ihre Verwaltungen einfach verbinden. Max Kolmitz (Hanse) übernahm den Vorstandsvorsitz, Dr. Eugen Moser
(Hanseatische) wurde Aufsichtsratsmitglied.
Stärke durch Einigkeit
Die neue Hanse-Merkur wurde mit fast 600.000 Versicherten und 83 Millionen DM Prämieneinnahmen zu einem der zehn
größten deutschen PKV-Unternehmen. Diese Größe sorgte für Stabilität, besonders als ab 1969 die Politik den Zugang
zur
PKV stark einschränkte und viele Versicherer vom Markt verschwanden.
Erfolg im Zusatzgeschäft
Hanse-Merkur setzte verstärkt auf das Zusatzversicherungsgeschäft und nutzte die Verbindungen zu DAK und HEK.
Besonders erfolgreich war das Unternehmen 1972 als offizieller „Olympia-Krankenversicherer“ für die Münchner Spiele
–
ein Meilenstein in der Unternehmensgeschichte.
und Prämieneinnahmen von 83 Mio. DM: Das neuformierte Unternehmen belegte Rang zehn der deutschen PKV
Nach der Fusion baute Hanse-Merkur ihr PKV-Geschäft durch Übernahmen weiter aus und wagte sich in neue Versicherungssparten. Aus dem traditionellen Krankenversicherer wurde in den folgenden Jahren ein Allsparten-Anbieter – das Ideal eines „Rundumversicherers“ mit allen Versicherungsleistungen aus einer Hand.
Einstieg in die Lebensversicherung
1969 legte Hanse-Merkur mit der Übernahme der „Lebensversicherung Merkur Nürnberg VVaG“ den Grundstein für das
Lebensversicherungsgeschäft. 1972 folgte die Gründung der Hanse-Merkur Lebensversicherung AG. 1983 wurde mit der
Übernahme der Braunschweigischen Lebensversicherung AG (gegründet 1806) ein weiterer Meilenstein gesetzt – sie wurde
später mit der eigenen Lebensversicherung verschmolzen.
Aufbau neuer Geschäftsfelder
1974 stieg Hanse-Merkur mit der Gründung der Hanse-Merkur Allgemeine Versicherung AG in die Sachversicherung ein,
1977
folgte die Hanse-Merkur Reiseversicherung AG, die sich zu einer der größten Erfolgsgeschichten der Gruppe
entwickelte.
Am Ende der 1970er Jahre war Hanse-Merkur ein breit aufgestellter Versicherungskonzern mit einem kompletten
Produktportfolio.
Kooperationen und neue Strukturen
Seit 1975 kooperierte Hanse-Merkur Kranken mit der Versicherungsgruppe Hannover (VGH) zur Erweiterung des
Krankenversicherungsgeschäfts. 1997 wurde dafür gemeinsam die Hanse Regional gegründet, die heute als Provinzial
Krankenversicherung Hannover AG Teil der VGH ist. So festigte Hanse-Merkur seine Position als vielseitiger
Versicherungskonzern.
Zum Geschäftsausbau gesellte sich in diesen Jahren ein besonderes soziales Engagement, das an die Gründungsideen der solidarischen Hilfseinrichtung anknüpfte.
Kinderschutz-Preis als Leuchtturmprojekt
1980 wurde der Hanse-Merkur Preis für Kinderschutz ins Leben gerufen – der älteste deutsche Sozialpreis eines
Unternehmens. Er ehrt Personen, Gruppen und Initiativen, die sich für das Wohl von Kindern und Jugendlichen
einsetzen.
Bedeutende Resonanz und prominente Unterstützung
Von 1980 bis 2024 bewarben sich über 3.900 Projekte, 183 wurden ausgezeichnet und erhielten Preisgelder von über 1,4
Millionen Euro. Die Schirmherrschaft übernahmen namhafte Persönlichkeiten, darunter der ehemalige Hamburger
Bürgermeister Olaf Scholz und Dr. Auma Obama.
kamen nach dem Mauerfall als potenzielle neue Kunden für die (westdeutschen) Versicherer hinzu
Der Fall der Mauer 1989 und die deutsche Wiedervereinigung 1990 bedeuteten für die Versicherungswirtschaft eine gewaltige Zäsur und eröffneten rund 17 Millionen neue Kundschaft.
Pionierleistung im Osten
HanseMerkur agierte als Branchenvorreiter: Bereits Ende März 1990 erhielt sie als erste westdeutsche Versicherung
die
Zulassung für den Vertrieb in der DDR. Im Juni 1990 wurde die Bezirksdirektion Potsdam mit Sitz in Ost-Berlin
gegründet, gefolgt von einer in Hamburgs Partnerstadt Dresden.
Erfolgreiche Expansion
Die neuen Standorte sorgten für kräftiges Wachstum – Dresden und Leipzig waren bereits drei Jahre nach der
Wiedervereinigung die größten Bezirksdirektionen des Unternehmens.
Das starke Wachstum in Lebens- und Sachversicherung sowie die steigende Mitarbeiterzahl machten die bisherigen Büroräume in der Neuen Rabenstraße bald zu klein. Hanse-Merkur entschied sich für einen spektakulären Neubau der Hauptverwaltung – mitten in Hamburg, in direkter Nähe des alten Standorts.
Historisches Erbe und städtebauliche Verantwortung
Für den Neubau erwarb das Unternehmen mehrere denkmalgeschützte Villen am Alsterglacis sowie das ehemalige Gästehaus
des Hamburger Senats, das Haus Wedells. Die Stadt Hamburg verlangte die Restaurierung der Villen und den
öffentlichen
Zugang zum Haus Wedells für kulturelle Veranstaltungen.
Symbiose von Moderne und Tradition
Im März 1991 wurde der Grundstein gelegt, im September 1993 bezogen über 800 Beschäftigte die neue Hauptverwaltung.
Der Neubau integrierte die historischen Villen in ein modernes Bürogebäude und schuf mit dem Atrium als
Veranstaltungsort eine städtebauliche Ikone an einem der attraktivsten Standorte Hamburgs. Moderne und klassische
Architektur verbinden sich hier zu einer besonderen Symbiose.